Smartphones als Schlafräuber

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Jeder dritte Schüler hat Schlafstörungen. Doch wie viel Schlaf brauchen Kinder und Jugendliche tatsächlich?

Von Christina Rinkl

Sie verschicken WhatsApp-Nachrichten an ihre Freunde bis tief in die Nacht. Schauen sich ein Video nach dem anderen auf YouTube an. Oder zocken „Fortnite“ am Rechner, bis ihnen die Augen zufallen. Deutsche Schüler schlafen zu wenig. Das hat eine  Studie ergeben, der Präventionsradar der Krankenkasse DAK. „Fast jeder dritte Schüler leidet unter Schlafstörungen“, so das Ergebnis der repräsentativen Umfrage unter knapp 9300 Teenagern der Jahrgangsstufen fünf bis zehn aus sechs Bundesländern.

Woran liegt das? Aus Sicht der Experten vor allem an den langen Zeiten an Smartphone, Tablet und Computer. Viele der Befragten gaben an, täglich mehr als vier Stunden vor dem Fernseher, Handy oder iPad zu sitzen. Vor allem die älteren Schüler schlafen deshalb oft viel weniger, als gut für sie wäre. Neunt- und Zehntklässler berichten im Durchschnitt von nur rund sieben Stunden Schlaf pro Nacht. Zwei Stunden mehr wären sinnvoll. Und die Mehrheit von ihnen schläft regelmäßig erst nach 23 Uhr ein. Die Folge: Stress, Erschöpfung und oft sogar Niedergeschlagenheit im Alltag.  Knapp ein Fünftel der Jugendlichen zeigt laut der Studie bereits depressive Symptome.

Doch wie viel Schlaf brauchen Kinder und Jugendliche wirklich?

Dazu gibt es verschiedene Studien, viele kommen im Groben zu ähnlichen Ergebnissen wie die Erhebung der amerikanischen „National Sleep Foundation“:

Babys bis 3 Monate: 14 bis 17 Stunden (mit Nickerchen)

Babys zwischen 4 und 11 Monaten: 12 bis 15 Stunden (mit Nickerchen)

Kinder zwischen 1 und 2 Jahren: 11 bis 14 Stunden (mit Nickerchen)

Kinder zwischen 3 und 5 Jahren: 10 bis 13 Stunden

Kinder zwischen 6 und 13 Jahren: 9 bis 11 Stunden

Teenager zwischen 13 und 18 Jahren: 8 bis 11 Stunden

Erwachsene: 7 bis 9 Stunden

Diese Empfehlungen lassen sich auf Deutschland übertragen, findet Prof. Dr. Angelika Schlarb von der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Die Tabelle zeigt, dass mit steigendem Alter der Schlafbedarf sinkt und dass es in jedem Alter einen Toleranzbereich gibt von zwei bis drei Stunden für die empfohlene Schlafdauer. Das bedeutet, dass nicht jedes gleichaltrige Kind auch gleich viel Schlaf benötigt. Wie lange der individuelle Schlafbedarf ist, ist einerseits abhängig von den vererbten Genen und andererseits vom gelernten Verhalten. Manche Kinder und Jugendliche sind von Natur aus Langschläfer, auch „Eulen“ genannt. Andere gehören zu den Frühaufstehern, sie sind „Lerchen“.

Und trotzdem: zu viel und zu ausdauerndes Handy-Daddeln vor dem Einschlafen schadet beiden Schlaftypen.

„Je mehr Zeit Kinder und Jugendliche vor Bildschirmen verbringen, desto weniger schlafen sie“, so das Fazit der DAK-Studie. Die Mehrheit der Kinder (56 Prozent) gab an bis zu einer Stunde am Tag mit Tablet und Smartphone zu verbringen. Ein Viertel (28 Prozent) der älteren Schüler spricht von mehr als vier Bildschirm-Stunden pro Tag. Das ist allerdings nur die Selbstwahrnehmung der Schüler. Die Zeit, die sich tatsächlich am Computer, Handy und Fernseher zusammengerechnet sitzen, dürfte noch darüber liegen. „Die Smartphones rauben den Schülern den Schlaf“, ist Studienleiter Professor Dr. Reiner Hanewinkel überzeugt. Er arbeitet für das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel.

 

Und auch Professor Dr. Thomas Erler kennt sich mit dem Thema Kinderschlaf aus. Er ist Schlafmediziner und ärztlicher Direktor des Klinikums Westbrandenburg in Potsdam. Wenn Eltern sich sorgen, dass ihr Kind oder Teenager zu wenig schlafe, rät er ihnen ein drei- bis vierwöchiges Schlaf/Wachprotokoll anzufertigen. So kann ermittelt werden, wie hoch der Schlafbedarf des Kindes tatsächlich ist. „Jeder von uns weiß, wie anstrengend es sich anfühlt, wenn wir auch nur eine Nacht zu wenig geschlafen haben“, sagt der Schlaf-Experte.

Zum Vergleich: Eine durchwachte Nacht dämpft unsere Reflexe ungefähr wie 0,8 Promille Alkohol im Blut.  Und nur vier Stunden Nachtschlaf beeinträchtigen unser Reaktionsvermögen laut Experten so, als hätten wir etwa 0,5 Promille Alkohol konsumiert.

Ein kurzfristiges Schlafdefizit kann relativ einfach nachgeholt werden, etwa mit langem Ausschlafen am Wochenende.

Wenn Kinder und Jugendliche aber dauerhaft zu wenig schlafen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie unter Konzentrationsstörungen und gereizter Stimmung leiden.

Das führt häufig zu schlechten Leistungen in der Schule und das wiederum zu Konflikten in der Familie – eine typische Negativ-Spirale.  Das soziale Umfeld ist durch den Schlafmangel des Kindes also in der Regel direkt betroffen.

Und im schlimmsten Fall sind es auch die Körperorgane: „Damit sich unser Körper wirklich erholt, benötigen wir regelmäßig eine Mindestmenge an Tiefschlafphasen. Wenn wir diese nicht bekommen, wirkt sich das auf unsere Organe aus.“ Das Herz muss angestrengter arbeiten und der gesamte Organismus ist belastet.

Auch Thomas Erler sieht den Schlaf von Kindern und Jugendlichen vor allem durch die vermehrten Bildschirm- und Smartphone-Zeiten gefährdet. „In unserem Schlaflabor beobachten wir häufig, dass sich Jugendliche mit ihrem Handy ins Bett legen.“ Problematisch an diesem Verhalten sind nicht nur die schlafstörenden, nächtlichen Pieptöne, wenn Textnachrichten oder E-Mails eintreffend, sondern auch das blaue Licht der Geräte. „Dieses Licht stört bewiesenermaßen den Schlaf, weil es eine Melantonin-unterdrückende Wirkung hat.

Was also können Eltern tun?

Sie sollten auf eine gute Schlafhygiene achten. Das bedeutet auf möglichst schlaffördernde Umstände vor dem Zubettgehen. „Jedes Smartphone schläft im Wohnzimmer“, ist eine sinnvolle Regel, die Familien möglichst schon dann einführen sollten, wenn ihr Kind ein eigenes Handy bekommt. Strenge Verbote bringen oft nicht den gewünschten Erfolg, vor allem nicht bei Teenagern. „Ihnen sollten die Eltern die Zusammenhänge zwischen exzessiver Smartphone-Nutzung vor dem Ins-Bett-Gehen und schlechtem Schlaf erklären“, findet der Schlafmediziner aus Potsdam. Er ist der klaren Meinung: Handys gehören nicht ins Bett. Am besten auch nicht ins Schlafzimmer.  Nicht bei Teenagern und auch nicht bei Erwachsenen.  „Denn der Schlaf hat eine wichtige Funktion in unserem Leben. Und unsere Handys brauchen wir dafür eindeutig nicht.“

Studie zum Schlafverhalten von Jugendlichen

  • Mädchen leiden häufiger unter Schlafstörungen als Jungen. Während jede Dritte mindestens einmal pro Woche Schlafprobleme hat, sind es bei den Jungen nur 24 Prozent.
  • Die befragten Fünft- und Sechstklässler schlafen meist zwischen 20 und 22 Uhr ein, Neunt- und Zehntklässler mehrheitlich nach 23 Uhr. Etwa jeder sechste ältere Schüler gibt an, erst nach Mitternacht einzuschlafen.
  • Die Jüngeren kommen durchschnittlich auf 9,4 Stunden Schlaf pro Nacht, Zehntklässler nur noch auf 7,3 Stunden. Das sind im Schnitt zwei Stunden weniger als von Experten für diese Altersgruppe empfohlen.
  • Je weniger Schlaf die Befragten bekommen, desto mehr fühlen sie sich gestresst. Von den Mädchen gab fast die Hälfte (48 Prozent) an, oft oder sehr oft unter Stress zu leiden. Von den Jungen ist ein Drittel betroffen. Die empfundene Stresshäufigkeit nimmt mit dem Alter der Jugendlichen zu.

 

Quelle: DAK-Präventionsradar2018

Bilder: Pixabay